Fantastisch!
August 1975: In einem Sommercamp in den Adirondack Mountains, einem Naturreservat, verschwindet die 13-jährige Barbara. Sie ist keine gewöhnliche Camperin, sondern die Tochter der reichen Familie Van Laar, denen das Camp und das umliegende Land gehört. Und noch etwas ist sonderbar: Sie ist die Schwester von Bear, der seit 14 Jahren vermisst wird. Tagelang war damals nach dem Jungen gesucht worden, die Familie hat sich nie bei den Suchenden bedankt. Es gibt Leute, die sagen, dass es einen Grund geben muss, warum die Familie so lange brauchte, um Hilfe zu rufen - sie hätten gewusst, was mit dem Jungen geschehen sei.
Und jetzt ist die Tochter verschwunden, ebenfalls in der Wildnis. Zufall? Weiss ein anderes Kind etwas über Barbara? Was ist mit den Angestellten der Familie van Laar, die in deren Schatten ihr Dasein fristen? Und da ist auch noch der "Schlitzer", der zur selben Zeit aus dem Gefängnis geflohen ist. Was spielt er für eine Rolle? Welche Geheimnisse hüten die van Laars?
"Der Gott des Waldes" ist ein fulminanter Gesellschaftsroman. Autorin Liz Moore führt uns in die Abgründe sozialer Ungleichheit, Wohlstandsverwahrlosung und Machtmissbrauch. Es geht aber auch um weibliche Selbstbestimmung und den Wert von Freundschaft. Die ganze Geschichte ist unglaublich spannend aufgezogen, Roman und Thriller zugleich. Das Buch ist vergleichbar mit denen von Joel Dicker, nur dass Liz Moore weniger ausschweifend ist und trotz ähnlicher Seitenanzahl die Spannung jederzeit halten kann. Ich bin begeistert von diesem Buch, es ist ein Meisterwerk!
Liz Moore: Der Gott des Waldes C.H.Beck Verlag
Vielleicht ist Liebe nur ein anderes Wort für Hoffnung
Abiturientin Fritzi Prager reist in den Sommerferien per Anhalter und Zug bis nach Lucca, wo sie die Tage an der Sonne geniesst. Dort lernt sie einen älteren Herrn aus Hamburg kennen mit dem sie eine Nacht verbringt. Diese bleibt nicht folgenlos: Neun Monate später erblickt Sohn Hannes die Welt. Im Mehrbettzimmer des Krankenhauses liegt Günes, die nicht viel älter ist als Fritzi, und ihre neugeborene Tochter Polina. Die jungen Mütter freunden sich an.
Fritzi, die das Abitur trotz Hannes geschafft hat, will raus aus ihrem Kinderzimmer und sich alleine um den Jungen kümmern. Als Putzfrau kann sie nachts arbeiten, Hannes trägt sie in ihrem alten Schulrucksack auf dem Rücken und singt ihm vor.
Sie schafft es, den etwas wunderlichen Heinrich Hildebrand zu überreden, dass sie in seine etwas heruntergekommene Villa in der Moorlandschaft einziehen darf. Zusammen mit Günes und Polina wird die Villa zum Leben erweckt. Die aufgeweckte Polina reisst den schweigsamen Hannes mit, der nur zu Chopins 1. Klavierkonzert einschlafen kann.
Eines Tages entdeckt er ein verstimmtes Klavier in der Villa, das sein Zufluchtsort wird. Er bekommt Unterricht und ist innert kurzer Zeit in der Lage wunderschön zu spielen. Als er sich mit vierzehn Jahren in Polina verliebt, komponiert er für sie eine eigene Melodie, die all ihr Sehnen und Wünschen umfasst.
Kurz darauf stirbt seine Mutter Fritzi bei einem Unfall und mit ihr stirbt auch seine Musik. Die Wege von Polina und Hannes trennen sich, das Erwachsenenleben beginnt. Für Hannes startet ein abenteuerliches Leben, allerdings fühlt er eine grosse Leere in sich und irgendwann wird ihm klar: Er muss Polina finden. Und dies gelingt nur mit einem: Ihrer Melodie.
Die Schönheit und die Kraft der Musik ist neben der Liebe das grosse Thema in Takis Würgers neuem Roman "Für Polina". Mit viel Liebe und Zartheit erzählt er von grossen Gefühlen und berührt damit die Leserin und den Leser. Gerne folgt man Hannes auf seinem Weg, hört mit ihm Musik und wünscht sich nichts mehr, als dass er Polina finden wird. Die Geschichte könnte ins Kitschige kippen, aber mit seinem Humor umschifft er diese Klippe gekonnt. Dieses Buch ist ein wunderbares Lese-Erlebnis, das noch lange nachhallt. Für mich ein Highlight von diesem Bücherfrühling.
Takis Würger: Für Polina Diogenes Verlag
Worauf wir hoffen
Gewöhnlich besucht Nicasio jeden Donnerstag das Grab seines Enkels Nuco, der am 23. Oktober 1980 bei einer Gasexplosion in seiner baskischen Schule ums Leben gekommen ist. Egal ob Sommer oder Winter, obs regnet oder schneit, ob er Hexenschuss hat oder sich nicht wohlfühlt. Nichts kann ihn von diesem Ritual abbringen. Am liebsten würde er neben dem Grab ein Zelt aufschlagen, sich von wilden Früchten ernähren und Regenwasser trinken, während er seinem Enkel erzählt, was in der Welt passiert. Er sagt, er besucht Nuco, nicht das Grab.
Die Eltern von Nuco verarbeiten das Ereignis auf unterschiedliche Weise. Während der Vater nach vorne schauen will, lässt das Geschehene die Mutter nicht los. Und während sie versuchen, zurück ins Leben zu finden, verschwindet der Vater.
Dem baskische Autor Fernando Aramburu ist mit seinem Roman "Der Junge" ein stimmungsvoller, bewegender Familienroman voller Menschlichkeit, Schmerz und Trost gelungen.
Fernando Aramburu: Der Junge Rowohlt Verlag
Vielschichtig und klug
Klara ist Architektin, sie geht in ihrem Beruf auf. Tochter Ada wird vor allem von ihrer Mutter Irene betreut, ihr Mann ist Freiberufler und kümmert sich nicht gross um den Haushalt.
Als Irene einen Schlaganfall erleidet, verändert sich alles, nun ist sie auf Hilfe angewiesen. Damit sie gut versorgt ist, werden Paulina und Radek aus der Slowakei eingestellt, die sich im zweiwöchigen Wechsel ablösen. Es läuft gut, vor allem Paulina wird von der ganzen Familie ins Herz geschlossen. Deren Kinder wiederum werden von der Schwiegermutter betreut, solange sie in Österreich Dienst tut. Alles ist wunderbar organisiert, alles ist ganz einfach. Paulina tut mehr, als sie eigentlich müsste, kann sich der Familie nicht mehr recht entziehen, diese dankt es ihr mit grosszügigen Geschenken. Ist man nicht sogar ein bisschen befreundet?
Im Mittelpunkt der Geschichte stehen Klara und Paulina, die ungefähr gleich alt sind, aber unterschiedliche Ausgangschancen haben. Während die eine Karriere machen kann, muss die andere auf die Nähe ihrer Familie verzichten, um über die Runden zu kommen. Paulina geht über die Grenzen hinaus, ihre eigenen Kinder kommen zu kurz und ziehen sich immer mehr zurück.
Autorin Susanne Gregor schreibt schnörkellos, sachlich und wertet nicht. Drei Frauen, die alle mit der Schuld leben, dass sie nicht die ihr zugedachten Rollen leben. Sie sollten Ernährerin, Mutter, Geliebte, Tochter und Pflegerin sein. Wer mehr Geld hat, kommt besser damit zurecht. Susanne Gregor stellt aber auch die Frage: Wie hoch ist der Preis, den ausländische Pflegekräfte bezahlen, wenn sie ihre Familien verlassen, um Geld zu verdienen?
Dieses Buch beeindruckt und hallt lange nach.
Susanne Gregor: Halbe Leben Zsolnay Verlag
Der gelungene Auftakt einer neuen Serie
Svetlana kommt aus der Ukraine und verdient ihr Geld als Putzfrau. Sie liebt russische Literatur und Detektivgeschichten, ihre Lebensweisheiten sind ebenso legendär wie ihre Grammatik. Tommi, seines Zeichens erfolgloser Schriftsteller, haust wegen Geldmangel in einem alten Wohnmobil, welches er von seinem Vater ebenso vererbt bekommen hat, wie Svetlana, die ab und zu sein Wohnmobil putzt.
Als er sie nach einer Putzaktion nach Hause fährt, sehen sie ein kleines Mädchen am Waldrand. Es wird schon dunkel und nirgends ist eine erwachsene Person zu sehen. Kurzerhand nehmen sie das Mädchen mit. Die Suche nach der Mutter bringt sie auf die Spur eines ungeheuerlichen Verbrechens und plötzlich lauern überall Gefahren...
"Wenn Ende gut, dann alles" (nach einer Lebensweisheit von Svetlana) ist der erste Solo-Krimi von Volker Klüpfel, der uns äusserst liebenswerte, schräge Charaktere mit Herz, Witz und Verstand präsentiert. Tommi, der liebenswerte Chaot, der an einem Thriller herumtüftelt und Svetlana, die aufgrund ihrer Tätigkeit immer unterschätzt wird und eigentlich die Führung beim Lösen des Falls übernimmt. Dieser Krimi macht einfach Spass, nebst dem Humor kommt aber auch die Spannung nicht zu kurz. Ein weiterer Band ist bereits geplant. Das wird eine tolle, neue Krimi-Serie!
Volker Klüpfel: Wenn Ende gut, dann alles Penguin Verlag