Ein literarisches Rätsel

Tödliche Familienbande

Das Geheimnis der drei Bilder

"Ab heute werde ich diesen Blog nicht mehr aktualisieren. Denn ich habe das Geheimnis der drei Bilder entschlüsselt. Welches Leid du ertragen musstest, kann ich nicht ermessen. Wie schwer die Schuld wiegt, die du auf dich geladen hast, ist mir nicht klar. Ich kann dir nicht vergeben. Doch ich werde dich immer lieben. Ren"

Dieser Blogeintrag gibt Rätsel auf, begleitet wird er von fünf Bildern. Und mit diesem Rätsel beginnt ein Krimi, der aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt wird. Es ist ein seltsames, verwirrendes und faszinierendes Leseerlebnis.  Es fühlt sich an, als ob man Teilchen für Teilchen findet, diese versucht zusammenzusetzen, was nicht immer sofort gelingt, aber am Schluss ergibt sich ein schlüssiges Bild. Und man rätselt unweigerlich mit.

Nach dem ersten Teil ist man etwas verwirrt, da der zweite Teil mit komplett anderen Personen beginnt und nichts zusammenpasst. Gefesselt ist man trotzdem, liest weiter und nach und nach wird das Rätsel um den Blogeintrag und die Bilder gelöst.

Krimis in dieser Art gibt es kaum, einzig Keigo Higashino, ebenfalls ein japanischer Krimiautor, schreibt ähnlich, kommt allerdings ohne Bilder aus, die in "Seltsame Bilder" eine wichtige Rolle spielen. Es ist kein üblicher Pageturner, die Geschichte strahlt Ruhe und Konzentration aus und vielleicht ist es gerade das, was einen so fesselt. Ich konnte das Buch kaum aus den Händen legen und bin total fasziniert. Nicht nur ich, das Buch erscheint weltweit in 30 Ländern - das will was heissen. 

Hen Na E: Seltsame Bilder  Lübbe Verlag

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Ich weiss, was dein Vater getan hat

Olivia Dumont ist Ghostwriterin, lange Zeit erfolgreich, allerdings bringt sie eine Verleumdungsklage in finanzielle Schwierigkeiten. Die Rettung könnte die Anfrage des berühmten Schriftsteller Vincent Taylor sein, für den sie ein Buch schreiben soll. Allerdings hat die Sache einen Haken: Der berühmte Autor ist ihr Vater, dem sie seit vielen Jahren aus dem Weg geht. Es soll auch kein Roman werden. Nach fünfzig Jahren will Vincent darüber sprechen, was damals im Sommer 1975 geschehen ist, in dem seine Geschwister brutal ermordet wurden. Viel Zeit bleibt nicht, der Vater leidet an Lewy-Körper-Demenz und verliert nach und nach sein Gedächtnis. 

Olivia lässt sich darauf ein. Sie will das dunkle Geheimnis ihrer Familie aufklären, das sie seit vielen Jahren beschäftigt. Hat ihr Vater seine Geschwister umgebracht? Was ist damals passiert? Die Spuren führen sie tief in die Vergangenheit ihrer Familie. Ist die Wahrheit schmerzhafter als die Lüge, mit der sie bisher gelebt hat?

Autorin Julie Clark dürfte vielen bekannt sein von ihrem Thriller "Der Tausch", mit dem sie die Bestsellerlisten gestürmt hat. Ihr neues Buch "Die unsichtbare Hand" ist ein Familiendrama und Krimi. Wie wirkt sich ein Drama auf die nachfolgende Generation aus? Wie zuverlässig sind unsere Erinnerungen? Auf zwei Zeitebenen tauchen wir ein in ein Konstrukt aus Lügen und Geheimnisse, lesen aus verschiedenen Perspektiven und lösen nach und nach das Rätsel um die toten Geschwister. Ein Krimi mit Tiefgang, klug, packend und intensiv. 

Julie Clark: Die unsichtbare Hand  Heyne Verlag

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Der stumme Zeuge

Ein sensibel erzählter Familienroman, der sich zum Pageturner entwickelt

Fast jeden Morgen wandert Vater Adam mit seinem 14jährigen Sohn Eugene durch den River Fall Park. An einem Dienstagmorgen kehrt Eugene alleine zurück, von seinem Vater fehlt jede Spur. Was passiert ist, bleibt unklar, denn erzählen kann der Junge nichts. Aufgrund einer Autismus-Spektrum-Störung und dem Angelman-Syndrom ist er stumm. Seine älteren Geschwister Mia und John, Zwillinge, und die Mutter machen sich auf die Suche, die erfolglos bleibt. Die Polizei beginnt zu ermitteln und sie finden auch Zeugen, die die Beiden gesehen haben. Vor allem Eugene ist aufgefallen, da er beim quer über die die Strasse rennen einen Autounfall verursacht hat. Auf seinem T-Shirt gibt es Blutflecken und unter den Fingernägeln ebenfalls. Vorsichtshalber wäscht Mia seine Kleidung und stellt den Jungen unter die Dusche. Beweismittel wird zerstört.

Mia beginnt nachzuforschen, weil sie ihren Bruder schützen will. Doch je tiefer sie gräbt, desto mehr gerät ihre Welt ins Wanken...

"Happiness Falls" ist ein unglaublich intensives Buch, das von Anfang an zu fesseln vermag - eben ein richtiger Pageturner. Erzählt wird die Geschichte von Mia, was uns einen tiefen Einblick in ihre Gedankenwelt gewährt. Immer Neues wird entdeckt, Verhalten, das auf den ersten Blick klar erscheint, erweist sich als ganz anders.

Bereits das erste Buch von Angie Kim, "Miracle Creek", hat mir sehr gefallen, mit dem zweiten Werk hat sie noch eine Schippe draufgelegt. Was für ein tolles, umwerfendes Buch! Ich bin hellbegeistert! 

Angie Kim: Happiness Falls  Verlag Hanserblau

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Eine unterschütterliche Liebe

Eine ungleiche Freundschaft

1916: Michelangelo Vitaliani, genannt Mimo, wächst in Armut auf. Mit 12 Jahren kommt er zu seinem Onkel in das kleine Dorf Pietra d'Alba, wo er in das Handwerk eines Bildhauers eingeführt wird. Aufgrund einer Achondroplasie ist er kleinwüchsig und wird dadurch oft zum Aussenseiter. Das stört Viola, Tochter aus gutem Hause und das jüngste Kind der Familie Orsinis, einer angesehenen Adelsfamilie, in keinster Weise. Sie ist belesen, äusserst intelligent und saugt Wissen auf wie ein Schwamm. Sie träumt von einem selbstständigen Leben, will aus dem engen gesellschaftlichen Korsett ausbrechen, was ihr als Tochter einer Adelsfamilie verwehrt bleibt, und sie will fliegen. Wie Mimo wird auch sie von vielen gemieden, zwischen den beiden entsteht eine tiefe Freundschaft. 

Seite an Seite erleben sie die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, den Aufstieg des Faschismus und die Unruhen der beiden Weltkriege. 

Mimo wird mit seiner Bildhauerkunst zum gefeierten Künstler, während Viola ihre Träume als emanzipierte Frau verfolgt. Sie verlieren sich - sie finden sich. Mal sind sie Verbündete, mal Gegner und doch bleibt die Freundschaft bestehen.

1986: Mimo, jetzt ein altehrwürdiger Bruder, liegt versteckt in einer Abtei auf dem Sterbebett. Ebenso gut versteckt befindet sich im Keller der Abtei seine Statue, die vor Jahren einen Skandal ausgelöst hat. Hier beginnt er von seinem Leben zu erzählen und das Geheimnis um die Statue wird gelöst. 

Autor Jean-Baptiste Andrea ist für "Was ich von ihr weiss" mit dem Prix Goncourt 2023 ausgezeichnet worden. Es ist eine Geschichte über eine unerschütterliche Liebe und eine ungleiche Freundschaft. Einerseits ein Schelmenroman, dann wiederum ein historischer Schmöcker und zugleich auch eine Liebesgeschichte, die bis zum Schluss zu fesseln vermag. Tolles Buch!

Jean-Baptiste Andrea: Was ich von ihr weiss  Luchterhand Verlag

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Ein Familienepos

Eine beissende Satire auf die Welt der Superreichen

Die jüdische Familie Fletcher ist reich und sie stechen sogar in der reichen Gegend von Long Island unter den wohlhabenden Familien heraus. Diesen Reichtum verdanken sie Gründervater Zelig Fletcher, der in den 40er Jahren nach Amerika geflüchtet ist, mit nichts im Gepäck ausser einer Formel zur Herstellung von Styropor. Mit seiner Intelligenz, Glück und Taktik macht er ein Vermögen. Sohn Carl tritt in seine Fussstapfen, heiratet Ruth und bekommt mit ihr drei Kinder. 

1980, Ruth ist zum dritten Mal schwanger, wird Carl vor seinem Haus gekidnappt. Nach Zahlung eines üppigen Lösegelds wird er kurz darauf wieder freigelassen, ohne einen Schaden erlitten zu haben. Aber stimmt das wirklich? Nicht ganz, seine Psyche ist angeschlagen und auch seine Frau und die drei Kinder werden durch diese Erfahrung ihr Leben lang beeindrächtigt. 

40 Jahre später kommt die Familie zu einer Feier zusammen und da wird klar, dass die lang zurückliegende Entführung unerwartete Spuren hinterlassen hat - bei der ganzen Familie. Diese Auswirkungen sind manchmal verstörend und immer wieder auch amüsant.

"Die Fletchers von Long Island" ist eine grosse jüdisch-amerikanische Familiengeschichte, die mehrere Jahrzehnte umspannt und äusserst kurzweilig ist. Sprachlich virtuos, manchmal etwas unverschämt und sehr, sehr witzig - eine Satire auf die Welt der Superreichen.

Taffy Brodesser Akner: Die Fletchers von Long Island  Eichborn Verlag

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